Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch.
Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Galater 2, 6)
Was macht das Leben lebenswert? Gewiss sind es die fröhlichen Stunden, die Sonnentage, wenn gefeiert und gelacht wird, wenn ich das Leben genießen kann – und das nicht nur allein, sondern in Gemeinschaft, wenn Freude und Glück geteilt werden. Aber auch in persönlichen Notsituationen und in Krisen, bei Verlusten und Schicksalsschlägen gibt es wertvolle Momente, wenn ich merke: Ich bin nicht allein. Andere sind für mich da, in der Familie, im Freundeskreis, in der Kirchengemeinde. Und ich bin für sie da. Wir helfen, Lasten zu tragen, stehen einander bei, ermuntern, trösten und helfen uns. Nicht für sich allein zu bleiben und nur auf das Eigene zu schauen, sondern der Zusammenhalt und die daraus erwachsene Gewissheit, nicht allein zu sein, machen das Leben wertvoll.
Das Evangelium für den heutigen Sonntag lädt uns dazu ein, unsere Einstellung zum Leben zu überdenken (Lukas 6, 36-38). Jesus sagt: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt wird man auch euch messen.
Das Leben hat eine geheimnisvolle Symmetrie: Wer großzügig und offen ist und anderen zugewandt, der wird selbst auch andere Menschen offen erleben und zugewandt. Wer aber verkniffen ist und hart und unbarmherzig mit anderen ins Gericht geht, an jedem und allem etwas auszusetzen hat, der erlebt auch die ihn umgebende Wirklichkeit feindlich, fühlt sich stets angegriffen und meint ständig, sich verteidigen und rechtfertigen zu müssen. Es ist die Goldene Regel, die besagt: Vermeide alles, was dir selbst unangenehm wäre, wenn ein anderer so an dir handelte. Positiv gewendet: Tue vielmehr anderen das, was du selbst gerne für dich erwartest.
Unweigerlich kommt mir dabei ein Märchen in den Sinn. Ein kleines Mädchen verwaist und ohne Obdach, macht sich – als es nichts mehr als einen Kanten Brot zu essen hat – voller Gottvertrauen auf den Weg. Unterwegs trifft es auf Menschen, die es bitten, ihnen zu helfen. Und so verschenkt es den Kanten Brot, dann seine Mütze und schließlich sogar sein Hemd. Am Ende, wenn wir die Hoffnungslosigkeit des Mädchens in der Kälte der sternklaren Nacht mit Händen greifen können, geschieht das Wunder: Die Sterne der Nacht fallen vom Himmel herab und verwandeln sich in Goldtaler. Dem Mädchen wird ein neues Hemd geschenkt, in dem es die Sterntaler einsammeln kann. Das Märchen endet mit den Worten: „Da sammelt es sich die Taler herein und war reich für sein Lebtag.“ Es ist so, als ob dieses von den Gebrüder Grimm als fromm bezeichnetes Mädchen, die Worte Jesu beherzigt hätte: Gebt so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben.
Die Worte Jesu sollten nicht als Appell dienen, wortwörtlich das letzte Hemd zu verschenken. Aber sie enthalten die Aufforderung, aus seinem Geiste zu leben und großzügig zu sein, Barmherzigkeit und Vergebung walten zu lassen. „Barmherzigkeit“, wie Luther hier übersetzt hat, ist ein Wort, das aus dem lateinischen misericordias entlehnt ist und so in unsere Sprache gekommen ist. Auch heute klingt es noch für manchen wie ein Fremdwort. Erbarmen und „Armherzigkeit“ klingen an. Den Armen sein Herz öffnen, sein Herz beim Armen haben, weil es einem gleichsam das Herz zerreißt, jemandes Not zu sehen.
Mit dieser Aufforderung, barmherzig zu sein, ist zugleich etwas über Gott ausgesagt, an dessen Barmherzigkeit wir uns ausrichten sollen. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, die eigenen Vorstellungen von Gott daraufhin zu befragen. Welche Bilder von Gott haben uns von Kindheit an begleitet und geprägt? Nicht wenige sind mit dem Bild des strafenden Gottes aufgewachsen, ein Gott der alles sieht und argwöhnisch begutachtet, der so streng ist, dass man nichts mehr zu lachen hat. So einem Gott kann man es nicht recht machen. Am Ende bleibt vielfach nur, sich von ihm zu emanzipieren und für das eigene Leben als nicht zuständig zu erklären.
Demgegenüber zeichnet die Bibel das Bild des barmherzigen Gottes, der es gut mit uns meint und uns mit allem ausrüsten will, was wir brauchen. Er leidet gewiss unter unseren Versäumnissen und Untaten, wenn wir einander feind sind, unsere Lebensgrundlagen zerstören und Menschen sich von ihm abwenden. Und dennoch hat er den lieben langen Tag nichts Besseres zu tun hat, als uns Menschen, jedem einzelnen in Liebe nachzugehen und trotz aller Fehler und Schwächen zur Umkehr aufzufordern. Für Martin Luther war das die bahnbrechende und freudigste Erkenntnis in seinem Leben. Gott ist nicht der strafende, sondern der gnädige Gott, der unser Bestes will, und darum das Beste schenkt, was er hat, nämlich seinen Sohn Jesus Christus.
Jesus selbst hat diese Barmherzigkeit vorgelebt. Gewiss hat er hat auch mit harscher Kritik nicht hinter dem Berg gehalten. Er hat seine Widersacher Heuchler genannt und die Händler und Geldwechsler recht unsanft und mit harten Worten aus dem Tempel getrieben. Er hat Unrecht beim Namen genannt, aber hat zugleich niemanden auf Vergangenes festgenagelt. Denn er wollte Menschen zur Umkehr bewegen und war bereit, anderen die Schuld zu vergeben. Daran wird deutlich: Wenn ich bereit bin, eigene Schuld einzugestehen und anderen zu vergeben, mache ich die Schuld nicht ungeschehen. Das geschehene Unrecht ist dadurch nicht aus der Welt. Aber sie steht dann nicht mehr zwischen uns. Wo Vergebung geschieht, da können Menschen wieder auf einander zugehen.
Das wünschten wir uns auch so sehr in Bezug auf verhärtete Fronten im Großen und im Kleinen, dass Feindschaft und Hass ein Ende finden. Insbesondere in Bezug auf die aktuellen kriegerischen Konflikte erscheint das fast unmöglich. Aber es gibt dieses Wunder der Versöhnung, wo Schuld eingestanden wird und Wege des Miteinanders neu beschritten werden. Denken wir nur an das Unrecht, welches das deutsche Volk während zweier Weltkriege mit zu verantworten hat. Und doch ist ein Neuanfang möglich geworden, dass unser Land wieder seinen Platz im Miteinander der Völker hat. Wenngleich wir nichts ungeschehen machen können, war Versöhnung möglich. Wer hätte z.B. vor 80 Jahren gedacht, dass Deutsche und Franzosen sich nach Jahrzehnten erbitterte Feindschaft wieder unbefangen und freundschaftlich begegnen können?!
Das Schlimme an der Unbarmherzigkeit ist, dass ich mit dem anderen fertig bin. Heute mehr denn je gibt es das in Familien und Gemeinschaften, dass Menschen so miteinander verfeindet sind, dass sie nicht mehr miteinander sprechen. Ich habe den anderen in eine Schublade gesteckt und damit lasse ich ihm keine Chance. Oft ist das harte Wort zu hören: Mit dem bin ich fertig! Jesus fordert uns auf, mit dem anderen nicht fertig zu sein und ihn auch nicht fertig zu machen, sondern immer wieder anzufangen, auf ihn zuzugehen. Weil Gott selbst mit uns nicht fertig ist, egal wie lange wir schon unterwegs sind. Gott hat mit uns etwas vor. Er will, uns zur Umkehr bewegen, wo wir in die Irre gehen. Er will unser Leben verwandeln und heil machen. Das Leben ist einfach zu kurz, um diese Chance zu verpassen. Und auch wir sollten sie ergreifen und auf den anderen zugehen, weil wir selbst aus der Gnade Gottes leben. Wer bereit ist zu geben und zu vergeben, der wird nicht leer ausgehen. Und wer so lebt, der hat mehr vom Leben. Nicht unbedingt eine Schürze voller Sterntaler wie im Märchen, aber wer weiß?
Jesus sagt: „Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man ich euren Schoß geben.“ Das ist ein anschauliches Bild. Ein Getreidemaß wurde für gewöhnlich mit einer Leiste abgestrichen, so dass die überschüssigen Körner runterfielen. Das Maß war dann gestrichen voll. Wenn das Maß aber gerüttelt und gedrückt wird, dann geht mehr hinein. Solch einen Überfluss an Gutem hält Gott bereit. Das ist der Mehrwert des Glaubens, der das Leben reich macht. Amen
Lasst uns beten:
Barmherziger Gott, an der liebenden Hingabe deines Sohnes Jesus Christus können wir ermessen, was es heißt, für andere da zu sein und Gutes zu wirken. Lass uns in der Nachfolge Jesu davon ganz erfüllt sein, dass wir Böses nicht mit Bösem vergelten, sondern überall das Gute suchen.
Wir bitten für diejenigen, die sich einsetzen für Frieden, Gerechtigkeit und den Erhalt der Lebensgrundlagen, dass sie den langen Atem haben und die Zuversicht nicht verlieren. Sei mit denen, die unter Gewalt und Krieg leiden. Lass sie Hilfe und Schutz erfahren.
Wir bitten für alle, die helfen, Lasten zu tragen, im Beruf und zu Hause, bei der Pflege von Angehörigen, im füreinander Dasein. Schenke dazu Kraft und frohen Mut.
Wir bitten für Menschen, die von Lasten niedergedrückt werden, von Krankheit und Trauer, von Sorgen und materieller Not. Wir bitten um deinen guten Geist, der hindurchträgt, der leitet und führt, der Hilfe schafft und neue Hoffnung schöpfen lässt.
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gibt uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig, der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen
Die Glocken unserer Kirche läuten zum Innehalten und zum Gebet: werktags um 8 Uhr, um 12 Uhr und um 18 Uhr.
Die Kirche ist Montag bis Freitag von 10-17 Uhr, am Samstag von 11-15 Uhr und am Sonntag nach dem Gottesdienst bis 12 Uhr geöffnet.
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Marion Steffen im Büro - 03834 2263 Pastor Dr. Bernd Magedanz - 03834 8477052 Pastorin Dr. Ulrike Streckenbach - 03834 886104 Angela Jütte im Treffpunkt Kirche - 03834 883375 Nachbarschaftshilfe - 0162 7687770
Wir grüßen Sie im Namen des Kirchengemeinderates und aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an St. Marien herzlich.
Ihre Pastorin Dr. Ulrike Streckenbach und Ihr Pastor Dr. Magedanz